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Muskelkrämpfe unter BCR-ABL-Inhibitoren

CML-Patienten, die mit BCR-ABL-Inhibitoren behandelt werden, klagen häufig über Muskelkrämpfe. Was lässt sich supportiv empfehlen? Treten diese Beschwerden bei allen BCR-ABL-Inhibitoren gleichermaßen auf oder kann bei ausgeprägter Symptomatik ein Substanzwechsel sinnvoll sein?

Tatsächlich zählen Muskelkrämpfe, ebenso wie Myalgien und andere muskoskelettale Schmerzen, zu den häufigsten Nebenwirkungen dieser Wirkstoffklassen.

Häufigkeit muskulärer Beschwerden von BCR-ABL-Inhibitoren im Vergleich

Wirkstoff Muskelkrämpfe (%) Myalgie (%)
Imatinib 28–62 % 16–49 %
Nilotinib 12–15 % 16–19 %
Ponatinib 5–14 % 6–24 %
Dasatinib ~5 % 8–22 %
Bosutinib keine Angabe 1–10 %
Asciminib keine Angabe 25 % (muskuloskelettale Beschwerden, nicht näher differenziert)

Für Imatinib sind die höchsten Raten an Muskelkrämpfen beschrieben, gefolgt von Nilotinib, Ponatinib und Dasatinib. Für Bosutinib und Asciminib finden sich in den Fachinformationen sowie in UpToDate derzeit keine Angaben zu Muskelkrämpfen – Myalgie und muskuloskelletale Beschwerden treten jedoch auch hier sehr häufig auf. Für alle BCR-ABL-Inhibitoren sind zudem Arthralgien als sehr häufige Nebenwirkung gelistet.

In schweren und therapieresistenten Fällen von Muskelkrämpfen kann aufgrund der unterschiedlichen Häufigkeit dieser Nebenwirkung ein Wechsel auf einen anderen BCR-ABL-Inhibitor (z.B. von Imatinib auf Bosutinib) erwogen werden. Dabei sind die individuellen Zulassungen der Wirkstoffe, sowie ggf. weitere Begleiterkrankungen und – medikationen zu beachten.

Empfehlungen für die klinische Praxis

Nicht-medikamentöse Maßnahmen

Leichte bis moderate Muskelbeschwerden lassen sich oft durch Bewegung, Dehnübungen und ggf. physikalische Maßnahmen lindern.

Medikamentöse Maßnahmen

  • Analgetika wie Paracetamol oder NSAID können unter Beachtung von Komorbidiäten und Begleitmedikationen symptomatisch eingesetzt werden. Eine längerfristige Anwendung sollte aufgrund potentieller Nebenwirkungen vermieden werden.
    • Bei Imatinib sollte kein Ibuprofen eingesetzt werden (erniedrigt die intrazelluläre Aufnahme und somit Wirksamkeit von Imatinib), in Kombination mit Paracetamol besteht ein erhöhtes Risiko für Hepatotoxizität!
  • Magnesium wird traditionell bei Muskelkrämpfen eingesetzt. Trotz begrenzter Evidenz stellt es eine in der Regel gut verträgliche Therapieoption dar.
    • Höheren Dosierungen können zur Diarrhö führen.
    • Zur Vermeidung von Interaktionen durch Komplexbildung (z.B. mit Levothyroxin, Doxycyclin) sollte ein Einnahmeabstand zu entsprechenden Wirkstoffen eingehalten werden.
  • Chinin ist zwar zur Therapie schwerer Muskelkrämpfe zugelassen, kann jedoch zur Therapie BCR-ABL-induzierter Muskelkrämpfe nicht empfohlen werden.
    • Chinin weist ein hohes Interaktionspotential auf (P-gp-Inhibitor, CYP3A4-Substrat) und wurde 2015 wegen potentiell schwerwiegender Nebenwirkungen in der Indikation eingeschränkt.
    • Es wirkt QT-Intervall-verlängernd und kann Torsade de Pointes-Arrhythmien auslösen. Eine Hypokaliämie oder die gleichzeitige Einnahme QT-verlängernder Arzneimittel – wozu auch viele BCR-ABL-Inhibitoren zählen – stellen Kontraindikationen dar!
    • Weitere potentielle Risiken sind u.a. schwerwiegende allergische Reaktionen und Blutbildveränderungen (z.B. hämolytische Anämie, Thrombozytopenie).
    • Auch die Einnahme größerer Mengen Chinin in Form von Getränken (z.B. Bitter Lemon, Tonic Water) ist kritisch zu sehen.

Fazit

Die Evidenzlage zur Behandlung von Muskelkrämpfen unter BCR-ABL-Inhibitoren ist begrenzt. Im Vordergrund steht die symptomatische Therapie mit nicht-medikamentösen Maßnahmen sowie der Einsatz von Magnesium. Bei anhaltender, stark ausgeprägter Symptomatik kann ggf. ein Wechsel des BCR-ABL-Inhibitors sinnvoll sein. Von der Anwendung von Chinin ist aufgrund des Interaktions- und Nebenwirkungspotential abzuraten.


Quellen:

Fachinformation Glivec®. August 2023. Zugriff 14.07.2025. https://www.fachinfo.de

Fachinformation Tasigna®. Mai 2022. Zugriff 14.07.2025. https://www.fachinfo.de

Fachinformation Iclusig®. März 2022. Zugriff 14.07.2025. https://www.fachinfo.de

Fachinformation Sprycel®. Juni 2022. Zugriff 14.07.2025. https://www.fachinfo.de

Fachinformation Bosulif®. November 2024. Zugriff 14.07.2025. https://www.fachinfo.de

Fachinformation Scemblix®. Juli 2024. Zugriff 14.07.2025. https://www.fachinfo.de

Fachinformation Limptar®. Dezember 2022. Zugriff 14.07.2025. https://www.fachinfo.de

Drug Information: Imatinib. UpToDate. Wolters Kluwer. Version 576.0. Zugriff: 14.07.2025. https://www.uptodate.com

Drug Information: Nilotinib. UpToDate. Wolters Kluwer. Version 447.0. Zugriff: 14.07.2025. https://www.uptodate.com

Drug Information: Ponatinib. UpToDate. Wolters Kluwer. Version 296.0. Zugriff: 14.07.2025. https://www.uptodate.com

Drug Information: Dasatinib. UpToDate. Wolters Kluwer. Version 409.0. Zugriff: 14.07.2025. https://www.uptodate.com

Drug Information: Bosutinib. UpToDate. Wolters Kluwer. Version 267.0. Zugriff: 14.07.2025. https://www.uptodate.com

Drug Information: Asciminib. UpToDate. Wolters Kluwer. Version 93.0. Zugriff: 14.07.2025. https://www.uptodate.com

Bescheid des BfArM zu Chinin (Limptar®). Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Zugriff: 14.07.2025. https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/a-f/chinin-stp.html

Arthralgie unter Aromatase-Inhibitoren

Viele Patientinnen unter antihormoneller Therapie mit Aromatase-Inhibitoren berichten von Arthralgie. Welche Tipps und Empfehlungen kann man den Patientinnen geben?

Arthralgien zählen zu den häufigsten therapieassoziierten Nebenwirkungen bei antihormoneller Therapie mit Aromatase-Inhibitoren (Letrozol, Anastrozol, Exemestan). Für alle drei Wirkstoffe sind Arthralgien sehr häufig beschrieben, zusätzlich treten oft weitere Beschwerden wie Myalgie, Gelenksteifigkeit oder Knochenschmerzen auf.

Pathophysiologische Hintergründe

Aromatase-Inhibitoren reduzieren die periphere Östrogensynthese nahezu vollständig. Da Östrogene eine protektive Wirkung auf Gelenkknorpel, Synovialgewebe und Knochensubstanz ausüben, wird ein kausaler Zusammenhang mit dem Auftreten von Gelenksymptomen angenommen. Zusätzlich könnten entzündliche Mediatoren eine Rolle spielen, der genaue Mechanismus ist allerdings bislang nicht bekannt.

Klinisch-praktisches Vorgehen

Nicht-pharmakologische Maßnahmen:

  • Regelmäßige körperliche Aktivität und gelenkschonender Ausdauersport (z.B. Schwimmen, Walking, Radfahren, Yoga) können Arthralgien vorbeugen und bestehende Beschwerden lindern. Zudem wirkt sich körperliche Aktivität positiv auf die Lebensqualität und das Rezidivrisiko des Mammakarzinoms aus.
  • Gewichtsreduktion bei übergewichtigen Patientinnen reduziert die mechanische Belastung der Gelenke.
  • Akupunktur zeigte in mehreren Studien eine signifikante Reduktion der Schmerzintensität. Die S3-Leitlinie ‚Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen‘ spricht eine „Sollte-Empfehlung“ zum Einsatz von Akupunktur bei Arthralgie unter Aromatase-Inhibitoren aus.
  • Nach einem Wechsel der Einnahmezeit von morgens auf abends berichten einige Patientinnen über eine Reduktion der Beschwerden. Dieser Effekt ist allerdings nicht systematisch untersucht.

Pharmakologische Optionen:

  • Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) können abhängig von Komorbiditäten und Begleitmedikation eingesetzt werden. Eine dauerhafte Einnahme sollte aufgrund der gastrointestinalen und kardiovaskulären Risiken vermieden werden. Gegebenenfalls ist die Verordnung eines Protonenpumpen-Inhibitors indiziert.
  • Duloxetin wird in den aktuellen AGO-Empfehlungen als Option bei Aromataseinhibitor-induzierter Arthralgie genannt („Kann-Empfehlung“)
  • Enzympräparate mit Ananas- oder Papayaenzymen (z.B. Bromelain, Papain) wirken entzündungshemmend und können helfen die Beschwerden zu lindern.
    • Die Evidenz ist begrenzt, die AGO-Empfehlungen sowie die S3-Leitlinie Komplementärmedizin enthalten lediglich Aussagen bzw. Empfehlungen zu anderen Nebenwirkungen (z.B. Schleimhautentzündungen und andere Toxizitäten klassischer Chemotherapeutika). Eine Empfehlung zum Einsatz bei Arthralgien gibt es aktuell nicht.
    • Wichtig zu beachten: als Nahrungsergänzungsmittel sind diese Präparate nicht verordnungsfähig. Selenhaltige Präparate (z.B. Equinovo®, Equizym®) sollten zudem nur nach Bestimmung des Selenspiegels eingesetzt werden. Im Handel sind auch selenfreie Enzympräparate erhältlich (z.B. Karazym®).
  • Eine ausreichende Versorgung mit Calcium und Vitamin D sollte sichergestellt sein, insbesondere im Hinblick auf das Osteoporose-Risiko bei der Therapie mit Aromatase-Inhibitoren.
  • Bei anhaltenden oder starken Beschwerden kann ein Wechsel des antihormonellen Wirkstoffes innerhalb der Wirkstoffklasse (z.B. von Letrozol zu Exemestan) oder auch Wirkstoffgruppen-übergreifend (z.B. von Letrozol zu Tamoxifen) zu einer Abnahme der Beschwerden führen.

Tipp für die Beratungspraxis

Die oben genannten Empfehlungen haben wir in einem Nebenwirkungsmerkblatt für Patientinnen zusammengefasst, das Sie gerne in Ihrer Beratung einsetzen können. Dieses und weitere praxisrelevante Materialien finden Sie in unserem Download-Bereich.


Quellen: 

AGO Breast Committee. Diagnosis and Treatment of Patients with Primary and Metastatic Breast Cancer. Recommendations 2025. Zugriff: 10.07.2025. https://www.ago-online.de

Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF). Langversion 2.0, 2024. Zugriff: 10.07.2025. https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/supportive-therapie/