NEM, komplementäre Medizin

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Probiotika bei oraler Tumortherapie

Ist der Einsatz von Probiotika zur Prophylaxe und/oder Therapie einer Diarrhö unter oralen Tumortherapien sinnvoll?

Definitionen

  • Probiotika enhalten lebensfähige Mikroorganismen (z.B. Saccharomyces boulardii, Bifidobakterien, Lactobacillen, Enterokokken, E.coli)
  • Präbiotika enthalten keine Mikroorganismen, sondern lediglich deren Nahrungsgrundlage (meist unverdauliche Kohlenhydrate)
  • Synbiotika sind Kombination aus Pro- und Präbiotika
  • Postbiotika enthalten Mikroorganismen in nicht-lebensfähiger Form (z.B. als Zelllysat oder hitzeinaktiviert) – sie werden häufig fälschlicherweise ebenfalls als Probiotika bezeichnet

Allgemeine Hinweise

Probiotika werden zur Therapie akuter und Antibiotika-assoziierter Diarrhö eingesetzt. Für diesen Zweck existieren zugelassene Arzneimittel wie z. B. Perenterol®. Die meisten auf dem Markt befindlichen Probiotika sind allerdings keine Arzneimittel, sondern Nahrungsergänzungsmittel. Für diese ist generell kein Nachweis von Sicherheit und Wirksamkeit erforderlich!

Evidenz zur Prophylaxe

Die S3-Leitlinie ‚Supportive Therapie onkologischer PatientInnen‘ spricht aufgrund der heterogenen Datenlage keine spezifische Empfehlung zum prophylaktischen Einsatz von Probiotika aus.

Folgende Studien wurden berücksichtigt:

  • unverblindete Studie mit rund 150 Patienten mit kolorektalem Karzinom zur Prophylaxe der 5-Fluorouracil-induzierten Diarrhoe: von 150 eingeschlossenen Patienten wurden 97 in der Synbiotika-Gruppe behandelt. In dieser traten im Vergleich zur Kontrollgruppe weniger häufig schwere Diarrhöen (Grad 3-4) auf
  • Metaanalyse mit ca. 1.100 Patienten: Probiotika zusätzlich zu einer onkologischen Therapie (zytotoxisch, zielgerichtet oder Immuntherapie) hatte im Vergleich zu Placebo keinen Einfluss auf die Inzidenz der Diarrhö oder die Häufigkeit schwerer Diarrhöen (Grad 3)

Die Leitlinie weist zudem auf das Risiko einer Sepsis unter der Einnahme von Probiotika hin und empfiehlt, immunsupprimierte Patienten nicht mit Probiotika zu behandeln. Das zugelassene Arzneimittel Perenterol® ist aus diesem Grund bei immunsupprimierten Patienten kontraindiziert.

Evidenz zur Therapie

Laut S3-Leitlinie sollte die initiale Therapie einer unkomplizierten Tumortherapie-assoziierten Diarrhö mit Loperamid in ausreichender Dosierung erfolgen: 4 mg initial, gefolgt von 2 mg alle 2-4 Stunden. Die Leitlinie enthält keine Angaben zum therapeutischen Einsatz von Probiotika.

Fazit

  • Zur Prophylaxe Tumortherapie-bedingter Diarrhö mit Probiotika besteht nur wenig Evidenz und für orale Tumortherapien liegen keine Untersuchungen vor
  • Bei immunsupprimierten Patienten wird der Einsatz von Probiotika wegen des Risikos einer Sepsis nicht empfohlen
  • Präbiotika oder Postbiotika, also Produkte ohne lebensfähige Mikroorganismen, könnten bei entsprechendem Patientenwunsch prophylaktisch eingesetzt werden – belastbare Daten zur Wirksamkeit liegen jedoch auch hierzu nicht vor
  • Zur Therapie der Tumortherapie-bedingten Diarrhö sollte leitliniengerecht Loperamid eingesetzt werden

Quelle:

Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF). Langversion 2.0, 2025. Zugriff: 01.07.2025. https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/supportive-therapie/

Interaktionen mit pflanzlichen Präparaten/NEM

Meine Patientin nimmt verschiedene freiverkäufliche Präparate ein und soll mit einer oralen Tumortherapie therapiert werden. Wo findet man valide Informationen zum Interaktionspotential pflanzlicher Präparate und anderer Nahrungsergänzungsmittel?

Sofern es sich bei den pflanzlichen Präparaten um Arzneimittel handelt, sind sie meist in den gängigen Interaktionsdatenbanken gelistet. Wird dort keine Interaktion angezeigt, bedeutet das jedoch nicht zwangsläufig, dass keine Interaktionen mit oralen Tumortherapeutika zu erwarten sind. Häufig liegt es vielmehr an einer unzureichenden Datenlage.

Einige pflanzliche Arzneimittel unterliegen keiner Zulassung, sondern lediglich einer Registrierung – dies kann man an Formulierungen wie „traditionell angewendet bei…“ erkennen. Im Gegensatz zu zugelassenen Arzneimitteln sind für registrierte Produkte keine Studien zum Interaktionspotentials erforderlich.

Noch unzureichender ist die Datenlage bei Nahrungsergänzungsmitteln (NEM), die rechtlich als Lebensmittel eingestuft werden. Für diese ist weder ein Wirksamkeitsnachweis noch eine Untersuchung möglicher Interaktionen vorgeschrieben.

Interaktionen, die unserer Erfahrung nach häufig dazu führen, vom Einsatz pfanzlicher Arzneimittel oder NEM abzuraten, sind u.a.

  • CYP450-Interaktionen: u.a. Johanniskraut, Grapefruit-Extrakte, Grüntee-Extrakte (EGCG), Curcumin (insb. hoch dosiert und/oder mit Piperinzusatz zur Verbesserung der Bioverfügbarkeit), Schisandra chinensis
  • Hepatotoxische Effekte: u.a. Kava-kava, Schöllkraut, flüssige Auszüge mit hohem Alkoholgehalt → additiven Effekte mit potentiell hepatotoxischen Tumortherapien bedenken!
  • Risiko einer erhöhten Blutungsneigung: u.a. Ginkgo, bestimmte „Heilpilze“ (z.B. Reishi, Grifola), Rosskastanien-Extrakte → insb. relevant bei gleichzeitiger Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern, Antikoagulantien und/oder bei Tumortherapie-induzierter Thrombozytopenie
  • Weitere pharmakodynamische Interaktionen: u.a. Wirkverstärkung von Fluoropyrimidinen wie Capecitabin durch Folsäure / Folinsäure, die in Multivitaminpräparaten oder als Zusatz in Lebensmitteln enthalten sein kann

Diese Aufzählung ist nicht vollständig, es handelt sich lediglich um eine Auswahl häufiger Interaktionen bzw. Präparate.

Valide Informationsquellen zum Interaktionspotential pflanzlicher Präparaten und NEM

  • About Herbs, Memorial Sloan Kettering Cancer Center
  • CAM Cancer, Norway’s National Research Center in Complementary and Alternative Medicine
  • Onkopedia-Leitlinie Komplementäre und alternative Therapieverfahren, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO)

Unabhängig vom Interaktionspotential sollte stets auch die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von NEM hinterfragt werden. Vielen Patientinnen und Patienten ist nicht bewusst, dass für diese Produkte kein Wirksamskeitsnachweis erforderlich ist und dass auch „natürliche“ Präparate mit Risiken verbunden sein können. Zudem können die mitunter hohen Kosten eine vermeidbare finanzielle Belastung darstellen.

Evidenzbasierte Informationen zu Nutzen und Risiken solcher Produkte finden Sie z.B. in der S3-Leitlinie ‚Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen‘. Weitere Quellen zu diesem Thema finden Sie außerdem in unserer Infothek im Abschnitt Komplementärmedizin.


Quelle:

About Herbs. Memorial Sloan Ketterin Cancer Center. Zugriff: 02.07.2025. https://www.mskcc.org/cancer-care/diagnosis-treatment/symptom-management/integrative-medicine/herbs/search